Nun haben wir mit „Arbeiten
Gehen“ auf dem Festival "Hart am Wind" gespielt. Es waren sehr schöne
Wiederaufnahme-Proben und lustige Vorstellungen mit tollem Applaus.
Bei
dem anschließenden Inszenierungsgespräch mit Fachpublikum, bei dem
unsere Dramaturgin Judith Huber und ich dabei waren, haben wir erfahren,
daß es doch nicht allen gefallen hat.
Wir
wurden am Anfang sehr genau und auch schön porträtiert von einem der
Festivalbeobachter. Er stellte uns die Frage nach den Bedingungen, mit
DarstellerInnen mit Handicap zu arbeiten. Dann ging es zum Beispiel noch um
die spannende Frage nach dem Verhältnis von Ordnung und Chaos auf der
Bühne und andere dramaturgische Aspekte.
Dann
wurde die Diskussion eröffnet und einige Teilnehmer der Runde
formulierten ihr Unwohlsein mit dem Stück. Es wurde bemängelt, dass in
einer Dialog-Szene ein nicht-Behinderter Darsteller einige Worte eines
Darstellers mit Handicap wiederholt hat. Die Zuschauerin hatte den
Eindruck, daß die DarstellerInnen mit Handicap in ihrer Schwäche gezeigt
würden und dieses Mittel wurde als Beispiel angeführt. Dieser Spieler
hätte doch noch so viele andere tolle Ausdrucksweisen, die nicht
Sprechen sind, zum Beispiel Körpersprache und Laute. Später wurde noch
angeführt, daß die Turning points der Geschichte nur von
nicht-behinderten DarstellerInnen eingeleitet wurden. An diesem Punkt der
Diskussion war es allerdings schon so weit, daß es albern gewirkt hätte
zu entgegnen, daß das rein statistisch nicht stimmt. Auch die
Wiederholung von Gesagtem zieht sich durchs Stück und wird auch ganz
unabhängig von Handicap oder nicht eingesetzt. Alle DarstellerInnen haben
ihren ganz eigenen Wortwitz, der ganz klar eine Stärke ist und den ich
niemals unterbinden wollen würde.
Jemanden
auf Laute und Körpersprache zu reduzieren, der sprechen kann und will,
der außerdem einen Großteil seiner Texte und die anderer miterfunden
hat, ist schlichtweg diskriminierend.
Die
DarstellerInnen von „Arbeiten Gehen“ erlebe ich als sehr starke
Künstlerpersönlichkeiten, und ich habe sie besetzt, weil ich sie für
tolle Performer halte. Ich erlebe sie weder beim Proben, noch bei den
Vorstellungen als schwach. Es gibt ein sehr aufmerksames Miteinander auf
der Bühne, wo es beispielsweise auch öfter passiert, daß mir einer der
Darsteller mit Handicap elegant auf die Sprünge hilft, wenn ich meinen
Text vergessen habe. Dieses sich-Helfen funktioniert in jede Richtung.
Dann
schrammte das Gespräch aber noch ein Thema, das ich für relevant halte,
und das ich jetzt mal mit der Frage nach der Authentizität umschreiben
würde. Es wurde kritisiert, daß in dem Stück nicht von den Erfahrungen
und „Lebensrealitäten der Beteiligten“ erzählt würde. Ob es dabei um die
Figuren oder die DarstellerInnen ging, konnte leider nicht geklärt werden.
Für
das Stück "Arbeiten Gehen" wurden die Figuren und Teile der Handlung
mit den DarstellerInnen entwickelt. Es stand den DarstellerInnen frei, ihren
Figuren einen Aspekt zu geben, der von einem Handicap erzählt. Bei den
so entstandenen Figuren spielte das Thema Handicap keine Rolle. Ich will
einen Menschen nicht auf ein Thema reduzieren. Es ist ja schließlich
auch ein Stück über Arbeit und nicht über Behinderung.
Selbstverständlich
finde ich jedoch, daß jeder auf der Bühne etwas mit seinem Körper
miterzählt. Jeder in seiner speziellen Beschaffenheit hat etwas durch
seine pure Anwesenheit auf der Bühne zu dem Geschehen beizutragen. Das
reicht mir dann auch schon an Authentizität und "Lebensrealität".
Leider
endete die Diskussion jedoch an einem Punkt, wo sich noch niemand
konkret dazu äußern mochte, wo genau denn die Authentizität fehlt.
Dabei wäre hier eine weiterführende Diskussion interessant und auch notwendig.
Das
zeigt auch der Umgang mit den Interviews, die auf dem Festival-Blog
veröffentlicht wurden: Sowohl ich als auch der Darsteller Nikolas
Gerlach (im Stück Apollo 13, der Haushaltroboter) wurden von einer
Jugend-Redaktion interviewt. Es wurden mir Fragen nach der Arbeit mit
Darstellern mit Handicap gestellt. Nikolas Gerlach wurde in seinem
Interview gefragt, wie es sei, mit Handicap auf der Bühne zu stehen. Ich
finde es wohlgemerkt nicht problematisch, daß eine Jugendlicher diese
Frage einem Darsteller mit angeborenem Handicap stellt, aber ich finde
es problematisch, dies dann online zu stellen auf den Festival-blog. Auf
unseren Wunsch wurde das auch sofort geändert.
Behinderung,
hier im speziellen auf der Bühne, ist ein Feld voller Möglichkeiten von
Übertretungen. Und der Umgang damit, sowohl in der künstlerischen
Arbeit als auch in den Sehgewohnheiten des Publikum fordert einen
Prozess der Sensibilisierung. Wir fordern uns damit selbst, und wir
fordern unsere Zuschauer.
Angemerkt
sei hier noch, daß unser Kinderpublikum recht wenig über die Handicaps
der DarstellerInnen reden wollte (unabhängig, ob einer der Darsteller mit
Handicap anwesend war). In einem Gespräch mit einer dritten Klasse kam
die Frage auf, wer wohl eigentlich die Hauptfigur im Stück sei.
Apollo 13 war hier einer der größten Favoriten. Über sein Sprechvermögen wurde kein Wort verloren.
Charlotte Pfeifer